Lauttreue

 

Der Vorteil eines lautgetreuen Lesebuches liegt auf der Hand: alle zu erlesenden Worte werden so gesprochen wie sie geschrieben werden, wenn man silbierend mitspricht (z.B. Schif fe, kom men, Wit ze, Fü ße). Über diesen Silbenrhytmus, der jedem Wort zugrunde liegt,  erhält das Kind einen sicheren Zugang zum richtigen Schreiben und Lesen. Nicht lautgetreue Worte  (z.B. Schiff, kommt, Witz, Fuß) werden strikt vermieden.

 

Das lautgetreue Lesebuch bietet dem Kind somit eine optimale Sicherheit  beim Einstieg ins Schreiben und Lesen. Der klare didaktische Aufbau orientiert sich an den Phonemstufen und ist so kleinschrittig, dass jedes Kind mühelos in den Prozess des Lesens und Schreibens einsteigen kann. 

 

 

Was hat man aber unter dem Begriff "Lauttreue" eigentlich zu verstehen?

Unsere deutsche Sprache verfügt über eine Lautschrift (mit einem alphabetischen System). Das bedeutet, dass es zu jedem Laut, den man hören kann, einen entsprechenden Buchstaben gibt, mit dem man den gehörten Laut verschriftet. Bezüglich der Lauttreue der deutschen Schriftsprache liegt unter den Linguisten keine einheitliche Definition vor.

 

In meiner vieljährigen Arbeit mit Lese- und Schreibanfängern hat sich aber die Definition der Lauttreue wie sie Carola Reuter-Liehr beschreibt als pädagogisch gut umsetzbar erwiesen. Nach Carola Reuter-Liehr werden jene Buchstaben als lauttreu definiert, die der häufigsten Verschriftung von Lauten entsprechen.[1]

 

 

mitsprechbar

lautgetreu

nicht mitsprechbar

nicht lautgetreu

f

v

e

ä

ei

ai

 

Der Laut „f“ wird in der Regel mit „f“ und viel seltener mit „v“ verschriftet. Aus diesem Grunde wird „f“ als lautgetreu und „v“ als nicht lautgetreu betrachtet. Dasselbe gilt für die Buchstaben „e“ und „ä“. Der Diphthong „ei“ wird von Lese- und Schreibanfängern gerne als „ai“ verschriftet, was auch der Lautbildung entspricht. Nach der Definition von Carola Reuter-Liehr gilt aber auch hier das häufiger verschriftete „ei“ als lautgetreu und das „ai“ als nicht lautgetreu. [2]

 

Hinzu kommt, dass ein Buchstabe je nach seiner Stellung in einem Wort unterschiedliche Lautwerte annimmt. Anhand der Silbengliederung wird aber schnell ersichtlich, ob ein Buchstabe innerhalb eines Wortes lautgetreu mitsprechbar ist oder nicht.

So sind die weichen Stoppkonsonanten „g/d/b“ zu Beginn einer Silbe deutlich mitsprechbar und dadurch hörbar. Kommen sie dagegen am Ende einer Silbe vor, so werden sie hart ausgesprochen (Auslautverhärtung) und sind nicht mehr von den harten Stoppkonsonaten „t/p/k“ zu unterscheiden. Sie gelten daher am Ende einer Silbe als nicht lautgetreu. Dies gilt auch für Wörter, die eine Konsonatenhäufung mit Stoppkonsonaten am Ende einer Silbe aufweisen.

 

 

Bei der Dopplung von Konsonanten (kom-men), ist durch das Mitsprechen der Silben im Wort das doppelte „m“ deutlich hörbar. Erscheinen die doppelten Konsonanten im Auslaut, wie bei dem Wort „kommt“, so ist das doppelte „m“ nicht mitsprechbar und dadurch nicht lautgetreu. Hier müssten die Kinder erst die entsprechende Ableitungsregel verstehen (die regelhaften Abweichungen werden aber erst eingeführt, wenn alle Phonemstufen bearbeitet wurden).

 

Tabelle zur Definition der Lauttreue[3]

 

mitsprechbar

und dadurch lautgetreu

nicht mitsprechbar

nicht lautgetreu

 

 

ei

Eimer, Eile, Seile

ai

Mai

 

e/eu

sehen

feuchte

Reue, Eule

ä/äu

sägen,

Mäuse, Käuzchen

Käse, Säge, Äpfel

 

f/w

Farbe

Ferkel

Wiege

v

Vogel

verstehen

Vulkan

 

g/d/b/z nur zu Beginn einer Silbe

 

Zwer-ge, Jun-ge

Gel-der, Klei-der

Bir-ne, gel-be

Her-zen

g/d/b/z im Auslaut

 

Zwerg

Mund, Geld

gelb

herzhaft

 

k/t/p/s auch im Auslaut

 

es stinkt

es hupt

Gans

 

 

Es klingt

Bub

Herz

ß zu Beginn einer Silbe

 

Stra-ße, Grü-ße, Klö-ße

 

ß im Auslaut

 

Gruß, Kloß

Dopplung des Konsonanten zwischen den Silben

 

Schif-fe

hof-fen

kom-men

Bel-len

zwic-ken, glüc-ken

Wit-ze, Blit-ze

 

Dopplung des Konsonanten

 im Auslaut

 

Schiff

hofft

kommt

bellt

zwickt, Glück

Witz, Blitz

 

ie am Ende einer Silbe

 

Brie-fe, Lie-der

ie innerhalb einer Silbe

 

Brief, Lied

 

Langer Vokal

 

Schal, Schaf

Dehungs-h, dopp. Vokal

 

Kehren,fehlen

Meer, See

 

 

Fremdwörterbesonderheiten bei

x/y/th/ph/rh

Axt, Mixer, Sylvester, Thema, Phosphor, Rhein, Xylophon

 

 

 

 

Lauttreue ist nach dieser Definition kein Merkmal von Buchstaben, sondern sie kann Wörtern zugesprochen werden. Wichtig ist, dass alle Buchstaben innerhalb eines Wortes durch die Silbengliederung mitsprechbar, d.h. hörbar sind.

Eine zentrale Rolle spielt also die Häufigkeit der Verschriftung eines Lautes in der deutschen Schriftsprache (vgl. „f-v oder e-ä“) und die Stellung eines Buchstabens innerhalb einer Silbe (vgl. Auslautverhärtung). [4]

 

Für das Lesen und Schreiben lernende Kind ist die Mitsprechbarkeit von großer Wichtigkeit. Die auf dem Sprachgefühl (Silbenrhythmus) aufbauende Mitsprechstrategie  vermittelt Sicherheit und Klarheit. Bei diesem Vorgehen müssen keine abstrakten Regeln oder Wortbilder trainiert werden. Die Kinder erleben durch den lautgetreuen Aufbau, wie sich die Buchstaben zu Silben und die Silben zu Wörtern formen. Laut und Buchstabe stimmen immer überein. Nicht lautgetreue Worte werden in den lautgetreuen Lesebüchern strikt vermieden. Nach Carola Reuter-Liehr wird das lautgetreue Wortmaterial in sechs aufeinander aufbauende Phonemstufen eingeteilt.

Erst wenn alle sechs Phonemstufen (vgl. Text zu den Phonemstufen) des lautgetreuen Wortaufbaus durchlaufen wurden, sollte man mit den Kindern Abweichungen von der Lauttreue besprechen und anschließend gezielt üben.

 

Meiner Erfahrung nach können die Ableitungsregeln ab der vierten Klasse hin und wieder angesprochen und ab der fünften Klasse auch an der Tafel visualisiert werden (z.B. in Form einer Sammelliste für Ableitungswörter). Leistungsstärkere Kinder werden diese problemlos aufnehmen und beim freien Schreiben anwenden. Im Diktat können sich die Schüler/innen jedoch darauf verlassen, dass ich ausschließlich lautgetreues Wortmaterial auf dem jeweils entsprechenden Leistungsstand verwende. Dadurch ist es möglich, dass sich die leistungsschwächeren Schüler/innen beim Schreiben weiterhin konsequent auf ihr Sprachgefühl verlassen können und die Sprachgesetzmäßigkeiten des lautgetreuen Sprachbereiches verinnerlichen.

Systematisch bearbeite ich die Abweichungen von der Lauttreue erst am Ende der fünften oder Anfang der sechsten Klasse, wenn alle sechs Phonemstufen durchgenommen und verinnerlicht wurden. In diesem Alter ist das abstrakte Denken soweit ausgebildet, dass die Abweichungsregeln gut verstanden werden und nicht zu einer Verunsicherung, Übergeneralisierung oder gar Überforderung führen.

 

 

 

 



[1] vgl: Carola Reuter-Liehr, Lautgetreue Lese- Rechtschreibförderung, Dr. Dieter Winkler Verlag, Band 2/1,  Seite 10

[2] vgl. Carola Reuter-Liehr, Lautgetreue Lese- Rechtschreibförderung, Dr. Dieter Winkler Verlag, Band 1,  Seite 52

[3] vgl. Carola Reuter-Liehr, Lautgetreue Lese- Rechtschreibförderung, Dr. Dieter Winkler Verlag, Band 1, Seite 54

 

[4] vgl. Carola Reuter-Liehr, Lautgetreue Lese- Rechtschreibförderung, Dr. Dieter Winkler Verlag, Band 1, Seite 55